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Die Wuchtbrumme

 Eine Knipsgeschichte mit einem BMW Chopper

Der Fotograf schwang sich elegant auf seinen wunderschönen, beige-mokka farbigen BMW Chopper, drehte den Zündschlüssel um, drückte mit dem Daumen den Starterknopf und zögerte den Bruchteil einer Sekunde. Sollte er es machen? –  Ja, es spülte schließlich ein paar Euros in seine enorm reduzierte Kasse. Die Zeiten waren nun mal nicht einfach.

   Dann zog er beherzt die Kupplung, trat auf das Schaltpedal, der erste Gang klongte ins Getriebe und die Voraussetzung zur Erfüllung seines seltsamen Auftrags waren gegeben. Kurzer Blick in den Spiegel und über die Schulter, dann brauste der bebrillte Fachmann des knipsenden Gewerbes los und war innerhalb von Sekunden um die Hausecke verschwunden. Felix blickte verstört hoch, bevor er sich wieder der Körperpflege widmete. Felix war der grau gestromte, alte Revierkater, der sich vorwiegend im Hof des Fotografen tummelte.

   Der steuerte seinen Chopper über die heute menschenleere Dorfstraße, vorbei an der alten romanischen Kirche und dem gegenüberliegenden Fachwerk-Rathaus. Ein Stückchen weiter schüttelte Lisa, das Mädchen für alles – wirklich alles – gerade auf dem Balkon des Gasthauses das Federbett eines einsamen Gastes aus. Als sie Uwe erblickte, huschte ein verschmitztes Lächeln über ihr herzförmiges Gesicht. Sie hatte den Fotografen sofort an seinem einmaligen Motorrad erkannt, insbesondere an der „49“, die auf dem kleinen Windschild prangte.

  Weil Uwe in Alltagsdingen etwas vergesslich war, fungierte sein Motorrad nämlich als Merkzettel. Die „49“ sollte ihn daran erinnern, einmal pro Woche seiner Leidenschaft zu frönen, dem Lottospiel, und pünktlich den Lottoschein abzugeben. Denn beim Lotto hatte Uwe schon ein paarmal Glück gehabt: Er hatte fünfmal drei Richtige und einmal vier Richtige erspielt! In zehn Jahren! Nun wartete er nach dem Gesetz der Serie auf den ganz großen Gewinn.

  Lisa wollte gerade einen Arm zum Gruß heben, aber da war das Objekt ihrer Augen und Sinne auch schon vorbei. Schade, dachte sie verträumt, stellte sie sich doch gerade Uwes Astralkörper ohne Motorradklamotten vor. Besonders angetan war sie von der Frisur des Fotografen. Diese hätte sie gerne an einem wettermäßig so tristen Tag wie heute mit ihren flinken, sinnlichen Fingerchen bearbeitet. Denn nichts machte sie bei Männern mehr an als eine Kojak-Frisur. Was Uwe auf dem Kopf fehlte, trug er im Gesicht: Ein nicht unbeträchtliches Ziegenbärtchen garnierte sein Kinn und die buschigen Augenbrauen versprachen, gepaart mit lustigen, kleinen Augenfältchen, einen ordentlichen Schuss Humor. 

   Und ohne denselben hätte er diesen schlüpfrigen Auftrag auch gar nicht angenommen. Es ging dieses Mal nicht darum, diverse Motorräder gekonnt in Szene zu setzen. Darauf war er nämlich spezialisiert. Das konnte er gut, sehr gut sogar. Er bekam Aufträge aus dem ganzen Land von Bikern, die sich mit ihren Lieblingen, ihren Bikes, in allen möglichen Positionen ablichten lassen wollten. Meistens als Fahraufnahmen. Aber auch Standpositionen hatte er routiniert im Repertoire: Motorrad und Fahrer von der Seite, von vorne, aus der Diagonalen, von hinten, von oben, von unten und natürlich im Detail. Der Fotograf scheute keine Mühen. So legte er sich auch mal in einen Straßengraben, um eine sensationelle Aufnahme möglichst in einer Kurve zu tätigen. Uwe hatte es einfach drauf! Das war ein einigermaßen einträgliches Geschäft. Nur dieses Jahr nicht. Die Aufträge fehlten. Im Winter lief gar nichts, das Frühjahr war zu kalt und im Sommer jagte ein Regentief das nächste. Die Kunden waren für ein Fotoshooting einfach nicht in Stimmung. So kam abends schon mal nur Butter statt Wurst aufs Brot. Die Zeiten waren eben hart!

  Da kam der Auftrag von Waltraud gerade recht. Waltraud, genannt Wally, war eine Wucht, sogar eine Wuchtbrumme! Und Hausfrau. Eine wuchtige Hausfrau sozusagen. Uwe kannte die dralle Brünette mit dem Schlafzimmerblick aus der Schulzeit. Die Entwicklung der beiden ging allerdings auseinander. Bei Uwe ging sie in die Höhe, bei Waltraud in die Breite. Besonders vorne herum. Sie trug inzwischen Körbchengröße Doppel-D. Beim Gehen schwankten ihre stattlichen Hüften monumental von der einen zur anderen Seite. Ihre Oberarme standen in Sachen Umfang denen eines Ringers in nichts nach. Wally fühlte sich wohl in ihrer Haut. Sie verabscheute den Schlankheitswahn ihrer Mitschwestern und dachte nicht im Entferntesten daran, nachmittags auf ihre Sahnetorte, am besten zwei Stücke, und abends auf ihre Pralinen zu verzichten. Dazwischen gerne ein paar Likörchen oder auch ein Gläschen oder mehr süßen Wein.

  Waltraud fühlte sich schön. Und dieses Gefühl spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. Sie strahlte etwas Positives, Glückliches aus. In der Tat hatte sie ein hübsches Gesicht mit wachen, strahlend blauen Augen, die sie mit einem dezenten Makeup in Szene setzte. Besonders verführerisch wirkten diese, wenn sie die Lider halb schloss. Ihre Nase hatte eine harmonische Form und den schön geschwungenen Mund betonte sie gerne mit einem kräftig roten Lippenstift.

   Uwe mochte seine ehemalige Mitschülerin recht gerne, wenngleich sie sich selten sahen; höchstens mal bei Klassentreffen wie neulich zum 25jährigen Schulabschluss. Umso erstaunter war er, als vor zwei Tagen Wally anrief, um ihm einen Auftrag zu erteilen. Erst dachte er an ein Motorrad-Fotoshooting und fragte:

   „Wow, ich wusste gar nicht, dass du einen Motorrad-Führerschein hast. Welche Maschine fährst du denn?“

   „Nein, nein, um so etwas geht es nicht, Uwe. Du sollst mich anders fotografieren.“

   „Wie anders? Was fährst du dann?“

   „Nein, ohne was.“

   „Äh, wie meinst du?“, fragte Uwe verunsichert.

   Dann rückte Wally mit der Sprache heraus. Sie wolle von Uwe erotische Fotos haben, also von sich natürlich, ohne Klamotten und so. Reizvoll, eher aufreizend. Und es solle ein Geschenk werden. Und ihr fiel kein anderer Fotograf ein. Weil ihr Mitschüler früher ja immer sehr seriös und brav war und sich zu benehmen gewusst habe.

   Bei dieser Argumentation musste Uwe erst einmal schlucken. So ist er also damals in den Schülertagen bei den Mädels rübergekommen! Das war ihm neu. Er hatte sich früher doch eher als Draufgänger gefühlt! Kein Wunder, dass er deshalb zur Schulzeit kaum Mädchen hatte abschleppen können. Er war zu brav! Für seinen aktuellen Auftrag schien das allerdings genau das Richtige zu sein.