Eine Herren-Genusstour entlang Sieg und Nister zur inneren und äußeren Einkehr
Was macht ein eingefleischter Motorradfahrer an seinem Geburtstag, wenn er drei Freunde einlädt, die zwar Roller jedoch nicht Motorrad fahren?
Geplant war eine Genusstour entlang Sieg und Nister im Vorderen Westerwald. Es komme nicht auf die Geschwindigkeit an sondern auf den Spaß und das Gemeinschaftsgefühl, dachte sich das Geburtstagskind, als es die ungewöhnliche Einladung aussprach.
Mit dabei waren: der lange Rudi auf seinem kleinen Piaggo-Roller mit 50 ccm, was der Gesamtoptik einen gewissen humorvollen Pfiff verlieh, dann der rüstige Olli aus Koblenz mit seiner ebenfalls gut erhaltenen Vespa und schließlich der blonde Benny mit seinem Luxusschlitten, einem BMW C1 Roller mit 125ccm. Luxus, weil er, sollte es mal tröpfeln, nicht nass würde, da er mit Dach fuhr und so seine blonden Locken trocken blieben.
Und natürlich das Geburtstagskind, der taffe Thomas, mit seiner neu aufgebauten Schwalbe, stilecht ausgestattet mit altem Leder-Schulranzen zur Beförderung des minimalen Männergepäcks und originalem DDR-Helm „Eierschale“. Schließlich war eine Übernachtung eingeplant.
Treffpunkt war unser Haus im Vorderen Westerwald; Zeitpunkt Karfreitag 11 Uhr. Kurz zuvor wurde mit vereinten Kräften erst mal Ollis Roller mit dem Anhänger aus Koblenz abgeholt. Galt es doch zu vermeiden, dass der Arme bei eigener Anfahrt auf zwei Rollerrädern vor Erschöpfung nicht mehr mittouren konnte.
Der Zeitpunkt versprach eher einen ruhigen Ausflug, sollte doch an diesem kirchlichen Feiertag nicht allzu viel Betrieb herrschen. Zudem, das beruhigte daheim die zugehörigen Frauen: War nicht mit ausschweifenden Tanzveranstaltungen am Abend zu rechnen!
Und überpünktlich, weil es die großen Jungs kaum aushalten konnten, traf man bei zwar kühlem, aber trockenem Wetter beim Geburtstagskind ein. Zur Begrüßung und zum Anstoßen gab es natürlich keinen Alkohol sondern einen „Kurzen“ der Variante „Rotbäckchen zur Verbesserung der Sehschärfe“. „Iiiiieenteressant“, so die spontane Reaktion zweier Mitfahrer.
Und dann galt es für die anwesenden Mädels erst einmal, die männlichen Beine zu kontrollieren in Bezug auf den Einsatz von langen Unterhosen. Schließlich wollte frau ja nur das Beste und keinen kranken Gemahl nach Tourende. Als dann auch die Halstücher korrekt saßen, wurde aufgesattelt und aufgesessen. Die Roller wieherten bereits vor Vorfreude, als sie erst einmal durch mehrmaliges Betätigen der Kickstarter zum Leben erweckt worden waren.
Nach kurzer Regieanweisung durch das Geburtstagskind bezüglich korrektem Fahren in der Gruppe – ist man ja schließlich durch das „richtige“ Biken gewohnt – rollten die Roller der Reihe nach vom Hof in Richtung obere Sieghöhe. Ein Bild für die Götter! Allesamt lange Kerle auf ihren kleinen Maschinchen. Aber Hauptsache der Spaß ist dabei. Bis zu dem Zeitpunkt….
… , als das Telefon klingelte. Das mobile Telefon bei der Notfallseelsorge „Exsozia“, die gerade in der Nachbarschaft auf das Geburtstagskind anstieß.
„Hürens, Rudi hier. Dat Schwälbschen fliescht nit mie!“ – „Was?“ – „Na, dat Schwälbschen het kin Lust mie!“ – „Hmmm. Wo seid ihr denn?“ – „Ähhh, Ähhhhm, Nüchternheit. In ähh En- Ener-Energie-Nüchtern-Nüchternheit!“ – „Aha. Wo ist das?“ – „Na, in In-En-Energie-Nüchternheit-scheid oder so. Im Loch.“ – „Habt ihr was getrunken?“ – „Ähh, nee, aber Dursch hätten mir jetzt! Kommens mal hehin, der Thomas bräucht ens ene andere Roller!“ – „Aha. Und wo seid ihr genau?“ – „Na in Nüchternheit. Oder so. He Leute! Wu sin mir he jleisch?“ – „Ja,ja. Ich komm ja schon! Bleibt mal, wo ihr seid! Bin unterwegs!“
„Oha, die erste Panne!“, dachte ich mir, „Und das mal gerade nach zwanzig Minuten! Bravo!“ Der Vorteil der Sache war allerdings, dass die Abenteurer in noch erreichbarer Nähe festsaßen. Also auf ins Auto und die mit Thomas zuvor abgefahrene Strecke unter die Reifen genommen. Dann musste ich die Vier ja über kurz oder lang treffen. Und während der Rettungsfahrt ging mir dann auch ein Licht auf: Mit Energie-Nüchternheit meinte Rudi das Tal zwischen Fernegierscheid und Süchterscheid. Klar!
Zwar nicht mehr „im Loch“ sondern schon auf der Höhe in Süchterscheid traf ich dann auch unsere Jungs; Thomas mächtig erhitzt trotz kühler Temperatur, hatte er doch bereits seine flügellahme Schwalbe eigenhändig den steilen Berg hochgeschoben – Frühsport sozusagen!
Die patenten Biker hatten schon organisiert, dass das Schwälbchen bei einer netten älteren Bäuerin übernachten durfte, die den blonden Bernd gleich als „Hochdruckreiniger“ einspannte. War doch der eigene Ehemann derzeit auf dem Fußballplatz und unsere patente Bauersfrau hatte sich vorgenommen, den Hof zu reinigen.
Nach kurzer Verständigung über den nächsten gemeinsamen Treffpunkt wurde Thomas mit dem Auto nach Hause kutschiert, um seinen Reserveroller zu aktivieren. Das war nach der langen Winterpause nicht ganz einfach, war der BMW C1-Roller doch seit einem halben Jahr nicht mehr gelaufen. Gott sei Dank hing er am Batterieladekabel und wachte gleich beim ersten Versuch aus dem Winterschlaf auf. Zur Vermeidung einer zweiten Panne ging Thomas Blick nun erst einmal in den Tank. Oh Schreck: Kein Benzin mehr! Aber der erfahrene Biker hat ja immer etwas Sprit auf Vorrat daheim. Also rein damit! Dann Mütze auf den Kopf (beim überdachten C1-Roller mit Anschnallgurten benötigt man keinen Helm) und los ging es. Zweiter Versuch!
Die anderen drei Mitfahrer hatten es sich derweil in Stadt Blankenberg im Cafe Krey, dem zuvor ausgemachten Treffpunkt, gemütlich gemacht und hatten einen hungrigen Blick auf die Spezialität des Hauses, windige Windbeutel, geworfen. Welche Sorten es wohl geben mag, sinnierte Olli mit Blick auf den Nachbartisch, als auch schon die brünette Bedienung bereitwillig Auskunft gab: „Windbeutel mit Heidelbeeren, Erdbeeren, Birnen, Kirschen und Ananas, alles nach Wahl mit Eis, Sahne und Schokoladensoße.“
„Okay, in dieser Reihenfolge bitte“, gab der hungrige Olli zu Bestellblöckchen, während die anderen Beiden vor Lachen bald unter dem Tisch lagen.
Aber so ausschweifend wurde die erste Einkehr dann doch nicht, hielten sich die drei „Riker“ mit je einem Beutel brav zurück. Als Thomas dann mit seinem rasenden Roland (hatte er doch nun mit 200 ccm die stärkste Maschine) endlich wieder zur Männergruppe stieß, standen die drei Jungs bereits in den Startlöchern und das Geburtstagskind blieb Windbeutel frei.
„Genug Zeit verloren“, dachte sich Thomas, unterdrückte seinen Hunger und es ging weiter. Zuvor drehte man jedoch noch mal eine Runde durch das idyllische Städtchen Blankenberg mit seinen romantischen Fachwerkhäusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Nach einem Blick auf die Burganlage aus dem 12. Jahrhundert mit gut erhaltener Stadtmauer und vier Türmen ging es auf alpinen Kurven rasant abwärts ins Siegtal.
Hier rollten die Rollerfahrer entspannt Sieg aufwärts und gerieten in einen wohligen Flow. (Bis auf den „großen“ Biker war diese Art der inneren Einkehr bisher den „kleinen“ auf ihren Zweirädern verwehrt geblieben.) Hätten sie die Infos gehabt, hätten sie über das sanft dahin fließende Gewässer sinnieren können: Die Sieg ist ein 155 km langer Nebenfluss des Rheins und entspringt im Rothaargebirge. Inzwischen sind wieder 36 Fischarten, Krebse und Muscheln heimisch; mit viel Glück kann man sogar einen Eisvogel bewundern.
Doch Flow macht hungrig und daher kam der nächste Einkehrschwung in Dattenberg: rechts abbiegen zum Bikers Rast, einem Bikertreff mit Biergarten und Campingplatz. Hier gab es die obligatorische Currywurst, ein Muss für jeden „richtigen“ Biker! Nett sahen die Minis neben den großen Maschinen aus!
Gestärkt ging´s weiter die Sieg hinauf. Leider fehlte die Zeit, die Ruine der alte Höhenburg Windeck aus dem 12. Jahrhundert zu besuchen. Heute finden in den historischen Gemäuern kulturelle Veranstaltungen statt.
Eine weitere Perle des Windecker Ländchens wurde diesmal nicht zur Einkehr genutzt, da nach Windbeutel und Currywurst der Platz im Magen ausgereizt war: Die Burg Mauel aus dem 15. Jahrhundert ist mit mittelalterlichem Gewölbe und romantischem Biergarten am Burgteich eine erste Adresse für eine außergewöhnliche Einkehr.
Viele Straßenschleifen und Brücken später verließ unsere Geburtstagsgesellschaft das Siegtal und bog kurz vor Wissen nach rechts in das schmalere Nistertal ein. Die idyllische Nister ist mit 64 Kilometern ein Nebenfluss der Sieg und entspringt an der Fuchskaute, dem höchsten Berg des Westerwaldes. Entlang der Nister gibt es wunderschöne Wanderwege, falls man die Rollerräder einmal mit den Wanderschuhen tauschen will.
Vom Wandern hielten unsere Jungs allerdings zu dieser Zeit nicht viel, wollten sie doch wegen des langsam schmerzenden verlängerten Rückens endlich ans Etappenziel gelangen. Und außerdem war die Aussicht auf ein kühles Bierchen ja auch nicht zu verachten, konnte man deswegen ja leider nicht im Landgasthof „Zum Hahnhof“ direkt am Nisterufer einkehren. Schließlich war Alkohol beim Fahren tabu.
Nun noch einmal heftig bergauf vom Nistertal auf die Hachenburger Landstraße. Hier stieß der lange Rudi mit seinem kleinen Piaggio offenbar an seine Leistungsgrenze, da er trotz aller Bemühungen nicht mehr als 50 Stundenkilometer aus dem Maschinchen herausquetschen konnte. Auch eine versuchsweise Unterstützung durch seine langen Beine auf dem Asphalt beschleunigte das Tempo nur unwesentlich, sah allerdings zur allgemeinen Erheiterung zum Brüllen aus.
Am Bahnhof Ingelbach ging´s dann nach den Schienen der Westerwaldbahn gleich wieder rechts ab und das Ziel war in greifbarer Nähe: die Hammermühle im Wiedtal kurz vor Wahlrod.
„Puh, endlich! Ich spüre meinen Allerwertesten ja kaum noch“, dachte sich der blonde Benny, während er sich riesig auf das erste kühle Blonde freute.
„Wurde aber jetzt auch Zeit! Mir ist saukalt. Ich brauche erst mal einen heißen Grog“, sinnierte hingegen der rüstige Ollli, dessen lange Unterhose ihre Wirkung völlig verfehlt hatte.
„Prima, isch han Dursch! Ejal wat et jibt!“, gab der lange Rudi von sich und parkte seinen Roller gleich mal geschickt im frei geräumten Schuppen ein.
Die Zimmerbelegung im idyllisch gelegenen und neu renovierten Edel-Gasthaus erfolgt ruckzuck, zog es die glorreichen Vier doch schnell an die große gemütliche Theke, um auf die erste Etappe der Tour und natürlich das Geburtstagskind gebührend anzustoßen. Hier waren plötzlich sämtliche Leiden vergessen und nach dem dritten Bierchen wechselte man zur Kegelbahn. Schließlich hatte man ja fast einen ganzen Tag gesessen; nun mussten die Knochen und Gelenke erst mal beim Kegeln reanimiert werden.
Da sich keiner der Vier aber so recht an die richtigen Kegelregeln erinnern konnte, was im fortgeschrittenen Alter ja so eine Sache ist, kegelte man nach neuen eigenen Regeln und hatte auf jeden Fall ordentlich Spaß – und natürlich Durst.
Hungrig gespielt schmeckte das Abendessen umso besser, fand doch jeder auf der pfiffigen Karte etwas, das ihm besonders mundete. Nach weiteren Bierchen und echten „Männergesprächen“ fielen die Rollerrocker schließlich zur richtigen inneren Einkehr müde ins Bett.
Tag 2
Blut geleckt! Organisator Thomas hatte zum Frühstück um neun Uhr geladen, doch: Als er pünktlich in den Frühstücksraum einlief, standen seine Mitstreiter bereits gestiefelt und gespornt bereit für die nächste Etappe.
„Langsam, langsam, Männer! Ich hab auch noch Frühstückshunger!“, wollte Thomas die Geburtstagsgesellschaft zügeln, aber die Jungs waren heiß auf´s Gas geben. Also schnell noch ein Brötchen verdrückt, Erinnerungsfotos geschossen und aufgesessen. Das Ganze bei morgendlichem Frühnebel und gerade mal sechs Grad! Da mussten die langen Unterhosen ganze Arbeit leisten!
Nach zehn Kilometern der erste Zwischenstopp an der Abtei Marienstatt, einem Zisterzienserkloster im Tal der Nister aus dem 13. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier bis 1982 ein Gymnasium mit Internat betrieben. Ehrfurchtsvoll betraten die Tourer die gewaltige gotische Kirche und bewunderten die barocke Ausgestaltung in besinnlicher innerer Einkehr.
Weiter ging es für ein paar Kilometer nach Hachenburg, der hübschesten Kleinstadt im Westerwald, von Weitem bereits erkennbar durch das hoch gelegene Schloss aus dem 12. Jahrhundert, das heute der Bundesbank als Hochschule dient.
Auf dem Weg ins Zentrum galt es jedoch nach links abzubiegen zum Cadillac Museum. Hier schlugen die Herzen der großen Jungs höher, als sie in einem der ausgestellten Edelkarossen Platz nehmen durften und sich wie Elvis oder James Dean fühlten. In ihre Jugendzeit fühlten sich die Vier versetzt, als sie einige, der ebenfalls ausgestellten Jukeboxen in Gang setzten durften. Olli war ganz aus dem Häuschen, als die ersten Töne seines alten Lieblings-Elvis-Songs „Love me tender“ erklangen. Und Benny konnte sich kaum beherrschen, beim „Rock around the clock“ nicht loszutanzen. An der Cadillac-Bar gab´s zum Aufwärmen noch einen Kaffee, dann ging es weiter ins Städtchen. Bei einem kleinen Fußmarsch bewunderten die Rollerbiker den historischen Marktplatz mit dem großen saynischen Löwen als Wappentier und die bunten Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Auf Rudis Bemerkung „Mann, war das jetzt anstrengend“ musste dann die nächste Einkehr her, nämlich ins „Wohnzimmercafé Kölzer“ am oberen Marktende. Spezialität des Hauses: Edle Trinkschokoladen und selbst gebackener Kuchen. Lecker!
Hier erzählte Thomas noch von einem weiteren Highlight in Hachenburg, dem Landschaftsmuseum mit acht original wieder aufgebauten Bauernhäusern und einer alten Schule. Zu dieser Zeit gab es die lohnende Sonderausstellung „Kleinwagen Wunderzeit“; auch hier wurden Nostalgieträume wahr.
Dann aber überwältigte die Männer die Sehnsucht nach ihren daheimgebliebenen besseren Hälften und man entschloss sich, Richtung Heimat aufzubrechen. Über Berod, Steimel, Holzbachtal und Wiedtal rückte diese immer näher.
Kurz noch einen Abstecher und eine kleine innere Einkehr im Kloster Ehrenstein aus dem 15. Jahrhundert mit seiner Kreuzherrenkirche, dann gab man der Versuchung der heimischen Kaffeetafel endgültig nach. Dort warteten schließlich von den fleißigen Frauen selbst gebackene Bikertorten auf die glorreichen Vier für die letzte genussreiche Einkehr der Frühlings-Rollertour.
Als Gastgeschenk gab es dann für jeden einen Bierflaschenöffner als Ring, Markenzeichen des neuen MC „Die glorreichen Vier“.